Windhauch

Unsere Gänse

Unsere Gänse

Jasmin

Unsere Gänse liebe ich sehr, schöne große Pommerngänse –
den Henri, die Jasmin, den Gunnar und das Blümchen.
Geschichten von den herrlichen Tieren kann ich fast niemanden
erzählen!
„Wieso könnt ihr euch nur über so viele Jahre Gänse halten!
Gänse sind doch zum Essen da – als knusprige
Weihnachtsgänse- hm- lecker!“
Es ist wirklich traurig was wir, meine Familie und ich, uns
anhören müssen, wenn wir von den schönen „Federvieh“
Erlebnisse erzählen - und es gibt wahrlich viele interessante
Geschichten!
„Na,  und warum wir überhaupt  Gänse haben und diese auch
noch sehr lieben.“
Ich kann bei solch Unterhaltungen sogar richtig böse werden. 
Die Tiere leben nun schon so lange glücklich und zufrieden bei uns –
sie sind wunderbare Freunde. Henri ist mittlerweile 18 Jahre
alt – der Älteste.
In diesem Jahr machte uns Jasmin großen Kummer. Sie hat
einen unwahrscheinlich starken Karrakter, sehr
selbstbewusst, doch wird sie vielleicht auch deswegen
manchmal von den anderen angegriffen und geärgert.
Blümchen konnte in diesem Jahr nicht brüten, denn ihr
Männchen, der Gunnar war einfach nicht fähig sie zu
begatten. Und Henri, ja und Henri hätte es bestimmt
geschafft, aber er durfte ja absolut nicht in Blümchens Nähe,
obwohl er sie ja auch so sehr liebt. Wehe er wagte sich nur
ein Stück heran, schon stand Gunnar parat und attackierte
ihn so, dass die Federn flogen.
So nahm Henri mit Jasmin vorlieb! Und obwohl er sie ja nicht
so sehr liebt wie sein Blümchen, reichte es doch allemal diese
glücklich zu machen. Jasmin setzte sich nach kurzer Zeit auf
ein kunstgerecht geformtes Nest in einer Ecke im Gänsestall
und fing an ihre acht Eier zu wärmen und zu behüten. Sie
brütete, brütete und hütete diese Eier mit Adleraugen. Wenn
sie sich am Abend von ihrem Nest erhob um alleine in dem
Garten ungestört Gras fressen zu können, schlich Henri zu
dem Nest, beäugte es eingehend, ob auch wirklich kein Ei frei
liegen würde. Wenn doch, nahm er in seinen Schnabel ein
bisschen Heu auf und deckte die Eier vorsichtig zu. Es war
köstlich dies zu beobachten! Zwei Eier haben wir aus dem
Nest genommen, denn wenn acht Küken geschlüpft wären,
wären alle für uns zu viel gewesen. Mit seiner Behutsamkeit
nahm Henri es anscheinend auch nicht so genau, denn nach
einer gewissen Zeit fehlte ein Ei nach dem anderen bis auf
einmal alle Eier verschwunden waren. Ob sie nun alle von
Henri zertreten wurden oder ob Jasmin einige verschwinden
ließ, wissen wir nicht, jedenfalls waren alle plötzlich weg.
Aber Jasmin blieb auf dem leeren Nest sitzen und lies uns
absolut nicht in ihre Nähe, wir konnten sie auch ohne Eier
nicht aus ihrer Brutecke locken.
Es war Anfang August, mein Mann war gerade ein paar Tage
aus der Reha zurück, als er morgens die Treppe herauf kam,
die Tür zu unserem Badezimmer öffnete und zu mir sagte:
„ Mit der einen Gans, ich glaube es ist Jasmin, kannst du
gleich zum Tierarzt fahren um sie einschläfern zu lassen. Sie
liegt da, als wär sie tot! Die wird bestimmt nicht mehr
gesund!“
So schnell wie an diesem Morgen, war ich mit meiner
Morgentoilette schon lange nicht mehr fertig geworden!
Aufgeregt rannte ich die Treppe hinunter in den Stall. Was ich
da zu sehen bekam, erschütterte mich sehr. Unsere kleine
Jasmin lag auf dem Boden, so als würde sie uns wirklich gleich
verlassen. Traurig und völlig erschöpft lag ihr Kopf matt auf
dem Fußboden, ihre Flügel mit den grauen, wunderschönen
Federn hingen rechts und links neben ihrem Körper und lagen
schlapp auf der Erde.
Das wochenlange Sitzen auf den Eiern war doch zu
anstrengend für sie. Eilig lief ich in die Küche um Wasser zu
holen, goss dieses in eine kleine flache Schüssel, damit sich
Jasmin beim Trinken nicht sehr anstrengen musste.
„Jasminchen, Jasminchen was machst du für Sachen! Komm,
meine Gute, trink ein bisschen! Es wird bestimmt alles wieder
gut! Komm! Du musst mich doch jeden Tag mit deinem
erfrischenden Gesang erfreuen! Nein Jasminchen, dir darf
nichts passieren, hörst du?“
Zärtlich konnte ich sie streicheln und ihr beim Trinken helfen!
Und sie trank – sie trank!
Es war mir sehr wichtig, denn ich fühlte in mir – wenn sie
trinkt, wird alles gut! Vorsichtig und sehr behutsam trug ich
die fast bis auf die Knochen abgemagerte, leichte Gans in den
Garten und legte sie auf einem wunderschönen Platz in das
tiefgrüne Gras. Von den drei anderen wurde Jasmin gar nicht
beachtet!
Ich war tief traurig! Schlapp und kraftlos lag sie da – in dem
herrlichen warmen Sonnenschein! Sie tat mir unendlich leid!
Nein, das hat unsere Jasminchen nicht verdient.
Kleingeschnittenen Löwenzahn und Brennnessel legte ich auf
einen Teller, stellte diesen vor ihren Schnabel und
hoffte, dass sie doch davon etwas nehmen würde. Und
tatsächlich hob sie ganz zart ihren Kopf und stocherte mit
ihrem Schnabel ein bisschen in den Blättern herum. Zwei –
oder drei Stückchen fraß sie sogar. Ich wich nicht von ihrer
Seite – über jedes Stückchen, das sie zu sich nahm, war ich
unendlich dankbar.
„Jasmin, ich weiß genau, dass du wieder gesund wirst, ich
fühle es ganz stark von innen heraus. In mir entsteht dann
eine große Kraft, die mir genau sagt, dass alles gut werden
würde. Also sei so gut und helfe mit bei deiner Heilung, ja!“


Mittlerweile traf meine Tochter, die die Gänse auch über alles
liebt mit Luca, meinem Enkelsohn ein. Alle beide waren auch
sehr traurig, als sie unser Jasminchen so elend im Gras liegen
sahen.
Meine Tochter setzte sich zu ihr, sodass ich für einige Zeit in
die  Küche verschwinden konnte. Doch es dauerte nicht
lange, da folgte mir Sandra sehr aufgelöst:
„Mami – niemals mehr wird unser Jasminchen gesund! In
ihrem Hinterteil – in und unter dem Federnkleid wimmelt es
nur so vor lauter Maden dieser schrecklichen Schmalzfliegen.
Sie haben unter den Federn ihre Eier abgelegt die nun
ausgeschlüpft sind und darin herum kriechen. Sogar die Haut
ist davon befallen. Ich habe gehört, dass diese Viehcher in
den Körper  krabbeln und diesen von innen auffressen.“
Sandra war schrecklich traurig und weinte.
Na, da war ich aber fertig!
Energisch legte ich die Utensilien, die ich gerade in der Hand
auf den Küchentisch, ging festen Schrittes auf Jasminchen zu,
hob sie mit meinen Händen hoch, legte sie auf einen Hocker
den mir Sandra zurecht gerückt hatte und fing an, diese
schrecklichen kleinen Viehcher aus ihren Federn zu puhlen.
Ich verlangte nach einer Pinzette, einer Schüssel mit Wasser,
damit ich die Würmer darin abspülen konnte. Und zu guter
letzt verlangte ich auch noch nach einem großen
Sonnenschirm, der uns vor dem Regen schützen sollte, der sich gerade bemerkbar machte. Und ich
saß nun da und puhlte und puhlte. Und mein Jasminchen
nahm dieses geduldig hin. Mittlerweile regnete es schon in
Strömen, aber ich ließ nicht locker. In mir spürte ich die
unwahrscheinliche Kraft.
Immer wenn ich diese starke Kraft spüre, weiß ich, dass alles
gut werden würde.
In der Nacht konnten wir Jasmin natürlich nicht allein im Stall
lassen, die anderen drei Gänse hätten sie bestimmt geärgert.
So legten wir sie in eine große Kiste, die wir mit Heu
auspolsterten und stellten diese in unser Badezimmer. Über
das Gänsebett hängten wir ein Moskitonetz, damit ja keine
Fliege mehr in dem sowieso schon kranken Gefieder Platz
nehmen konnte.
Am nächsten Tag fuhren wir zu unserem Tierarzt, der sich mit
Gänsen sehr gut auskennt. Er war wie immer sehr nett und
verstand uns, dass wir so um unser Jasminchen kämpfen. Er
nahm uns auch die Angst, die wir wegen dieser schrecklichen
Maden hatten. Einige Nester dieser ekeligen Tiere holte er
noch aus den Federn heraus. Dr. Braun erkannte aber auch
die unwahrscheinliche Schwäche dieses Tieres. Ich habe noch
nie gehört, dass ein Arzt eine Gans an den „Tropfer“ legt,
aber er tat es. Sandra und ich fanden dies außerordentlich
bewundernswert und waren sehr dankbar für diese
vorzügliche Behandlung.
Na, wie gesagt, Bekannten und sogar Freunden können wir
diese Begebenheit gar nicht erzählen, wir werden nur
ausgelacht.
Jasmin war so unwahrscheinlich schwach und Dr.Braun gab
uns für sie Aufbaumittel und vor allem Spray gegen die
ungebetenen Gäste in dem Gefieder.
Vom Aufstehen konnte überhaupt noch keine Rede sein – ach
noch lange nicht!
Fünf Tage sollten wir sie noch in unserem Badezimmer lassen.
Am Tag sah unser Garten aus wie Lazarett in den Tropen.
Wenn es kühl war oder es regnete, legte ich Jasminchen  in
ein Gewächshaus auf eine weiche Unterlage damit ihr
fettarmer Brustkorb nicht aufgerieben wurde. War es aber
schön, so konnte sie die warme Sonne nur unter einem
Moskitonetz, welches wir über einen Sonnenschirm gespannt
hatten, genießen.
Langsam aber sehr langsam fing sie wieder an zu fressen,
Kraftfutter, ein paar Brotstücke, die sie sich sogar schon
anfing selbst im Wasser aufzuweichen, Salat, Löwenzahn und
klein geschnitten Äpfel.
Die Zeit verging und es war überhaupt noch kein Zeichen in
Sicht, dass sie aufstehen würde. So trug ich sie also jeden
Morgen in den Garten und pflegte sie den ganzen Tag über.
Es machte großen Spaß die kleinen Fortschritte zu
beobachten. Jasminchens Kreislauf musste jeden Tag aufs
Neue stabilisiert werden, deshalb hoben wir ihren Körper
immer und immer wieder hoch. Natürlich warteten Sandra
und ich dabei auch sehnsüchtig darauf, dass doch endlich die
Kraft in ihren Beinen wieder kommen würde, damit sie sich
irgendwann mal mit den Füßen abstützen könnte.
Sie tat es aber nicht.
Es vergingen Tage - es vergingen Wochen!
Aber wir gaben nicht auf! Ich wusste ja, dass alles gut werden
würde!
Je mehr sie fraß, umso größer war unsere Hoffnung, dass sich
ihre Kraft wieder vollends aufbauen würde um bald wieder
laufen zu können.
Unseren anderen Gänsen gegenüber hatte ich inzwischen
schon ein schlechtes Gewissen, ich konnte natürlich nicht für
alle gleich da sein.
„Bitte . meine guten – Henri, Gunnar und Blümchen, nehmt
es mir nicht übel, wenn ich mich so sehr um Jasminchen
kümmere, aber sie ist nun mal sehr krank und sie braucht
meine Hilfe. In Ordnung!“
Ich stand vor den drei Gänsen und sie schnatterten mir
entgegen, als würden sie mir sagen wollen:
„Ist schon gut – unser Frauchen!“
Und dann eines Tages war es endlich  - endlich so weit und
Jasminchen streckte ihre Beine während des Hochhebens
aus.
Meine Güte, nach mehr als vier Wochen. Sie fing an ihre
Beine auszustrecken, um mit den Füßen das Gras zu
berühren.
Sandra hatte Jasminchen in ihren Händen, als diese
Bewegungen das erste Mal zusehen waren.
Wie beide freuten uns unwahrscheinlich.
Sandra hielt die Gans in ihren Händen fest! Mit einer Hand
nahm sie ein Bein und stellte dieses auf den Boden, spreizte
dabei die Schwimmhäute und die Zehen, damit Jasminchen
mehr Halt beim Stehen bekommt. Danach wechselte sie die
Hand und stellte das andere Bein daneben. Nach einiger Zeit
ließ sie Jasmin los, und plumps lag diese schon wieder im
Gras. Die Füße zog sie dabei so an sich, dass wir das Gefühl
hatten, diese wären verkrüppelt.
Das Geschehen wiederholte sich immer wieder  - Tage lang!
Um der Gans Kraft zugeben, setzte Sandra mir sie auf meinen
Schoß und ich übermittelte dem ruhigen, liebevollen  Körper
die Kraft, die Liebe, die in diesem Augenblick über mich kam.
Jasmin hatte durch das Sitzen auf den Eiern und das Sitzen
während ihrer Schwäche scheinbar das Stehen und das
Laufen verlernt. Immer wieder und immer wieder hoben wir
sie hoch, immer und immer wieder flog sie in sich zusammen.
Wir übten mit ihr das Stehen solange, bis sie eines Tages doch
tatsächlich wieder alleine stehen konnte. Und wenn sie dann
fest auf ihren Beinen stand, blieb sie auch eine Zeit lang
stehen und schnatterte stolz um sich.
Jasminchen besaß in dieser Zeit einen starken Willen und die
innerliche  Kraft, die ihr bestimmt beim Versuch selbst
aufzustehen, half. Na, und wenn es dann nicht so gut klappte
wie sie wollte, da bekam sie so eine Wut, dass sie mit großer
Anspannung ihren Schnabel in den Boden hinein stocherte.
„Es wird schon Jasminchen – es wird schon! Schau, wir sind
jeden Tag ein bisschen weiter gekommen, wir können so
dankbar sein!“
Wir redeten mit ihr fortwährend.
Und dann kam die langersehnte Stunde!
Als Sandra sie wieder einmal zur Stehgymnastik hoch hob, da
wollte unsere tapfere Jaminchen plötzlich auf einmal alleine
laufen. Sie setzte ein Bein vor das andere, hielt ihre Füße
richtig aus einander, das eine Bein ein bisschen schräg, so wie
man es eben von ihr gewohnt war. Sie lief Sandra fast aus den
Händen weg.
„Na sag einmal Jasminchen, was ist denn mit dir auf einmal
los? Aber fein machst du das Jasminchen -  fein!“
Sandra lachte und lachte und konnte die Gans vor lauter
Lachen kaum halten!
Diese Freude bei der ganzen Familie – diese
unwahrscheinliche Freude!
Die täglichen Übungen fielen ab diesem Tag anders aus, es
gab keine Stehübungen mehr, sondern nur noch Lauftraining.
Trotzdem dauerte es noch ein paar Tage und sie hatte es
geschafft zu laufen. Jasminchens Freude und Stolz konnten
wir sehen und tief in uns spürten.
Sandra und ich und all meine Enkel waren unendlich dankbar!
Aber das selbständige Aufstehen machte ihr noch einige Tage
zu schaffen.
Doch eines Morgens öffnete ich die Stalltür  und Jasminchen
kam mir schnatternd entgegen gewatschelt!
Von diesem Moment an war sie und ist sie wieder unsere
glückliche Jasmin!
Und heute schallt mir abermals ihr Gänselied entgegen, wenn
sie mich ruft!
Danke für das wundervolle schöne Tier!
Danke Jasmin!
Dank aller Macht um uns herum!





Gunnar
Im letzten Jahr hatten wir Ende November noch schöne
warme Tage. Unsere Gänse – wunderschöne, kräftige
Pommerngänse - konnten weiterhin im  Gras die Sonne
genießen.
Es ist köstlich die Freude der Tiere mitzuerleben, wenn eine
nach der anderen jeden Morgen fröhlich gaggernd, mit den
Flügeln kräftig schlagend, den Stall verlassen,.
Doch in den letzten zwei Tagen im November beobachtete
ich nun, dass Gunnar, dieses liebevolle Tier, plötzlich nicht
mehr so viel Kraft hatte! Er schnatterte nicht so laut wie sonst
und sein unwahrscheinlich dicker Körper konnte kaum noch
von seinen dünnen Beinen getragen werden.
Ich machte mir große Sorgen und fragte mich, was er wohl
hätte.
„ Gunnar, was ist nur mir dir? Habe ich doch vernachlässigt
als ich mehr oder weniger nur für Jasminchen da war?“
Zwei Tage später blieb er sogar mit seinen Flügeln in dem
Türchen zum Gänsestall hängen, in das er sonst mühelos
hinein schlüpfen konnte. Gunnar gab keinen Ton von sich, als
ich ihm vorsichtig half.
Im Stall legte er sich auf einen Platz, auf dem ich ihn am
nächsten Morgen wieder fand.
Ich liebe es ganz und gar nicht, wenn eine von unseren
Gänsen den Kopf vor Schwäche heben kann.
Und nun war es Gunnar der sein wunderschönen schmalen
Kopf hängen ließ!
Er war immer zufrieden und liebevoll, ja man kann sagen – er
war ein richtig ausgeglichenes Tier, machte sich kaum
bemerkbar, außer natürlich – wenn er sein Blümchen – sein
Weibchen - beschützen musste.
„Gunnar was ist nur mit dir? Was hast du denn mein lieber
Gunnar?“
Schnell holte ich etwas Wasser zum Trinken, setzte mich zu
ihm und streichelte ihn ununterbrochen bis Sandra meine
Tochter und Tim, mein Enkel kam.
„Gunnar, was ist nur mit dir los?“
Sandra streichelte ihn zärtlich, nahm ihn vorsichtig hoch,  trug
ihn in den Garten und legte ihn auf das Stroh, welches ich im
Gras zurecht gelegt hatte. Ich setzte mich, beladen mit
meiner großen Traurigkeit, ganz nah zu Gunnar und flüsterte
ihm leise tröstende Worte zu.
Doch plötzlich war ich nicht alleine mit meinem stillen
Zuspruch! Jasminchen löste sich von den anderen Gänsen, die
in einiger Entfernung zusammen standen, kam langsam zu
uns gewatschelt, stellte sich mir gegenüber, sah auf Gunnar
hinunter und schnatterte so zärtlich und liebevoll ihm
entgegen, dass sich vor lauter Rührung mein Schmerz
vertiefte. Ich fing an zu weinen. Danach watschelte Jasmin
langsam zu den anderen Gänsen zurück.
Es war Samstag! Ich rief unseren Tierarzt Dr. Braun an und
bat ihn auf suchen zu dürfen.
„Jeder Zeit können Sie kommen! Welche Gans ist es denn?“
fragte er.
„Nicht Jasmin, mit der ich letztes Jahr bei Ihnen war! Es ist
Gunnar!“
„Was,“ meinte er, „die Jasmin lebt noch, dass freut mich aber
sehr! Dann hat sie doch alles gut überstanden. Aber natürlich
können Sie kommen – ich warte auf Sie!“
Schnell richteten wir die große Transportkiste her, die wir
immer für die Gänse bei solch einer Gelegenheit brauchen.
Sandra und ich streichelten Gunnar abwechselnd und bei
einer dieser Berührung entdeckte Sandra unter dem rechten
Flügel eine große Geschwulst. Es war bestimmt ein Tumor.
„Ich glaube nicht, dass der Arzt noch helfen kann!“
Sandra nahm Gunnar in ihre Arme, setzte sich auf einen
Hocker und legte ihn auf ihren Schoß. Meine Enkelin, die zu
Besuch war, kniete sich hinunter auf die Erde, ich stand
gebückt an Gunnars Kopf! Alle drei gaben ihm die Kraft und
unwahrscheinlich tiefe Liebe!
Gunnar ist in Sandras Armen während der Streicheleinheiten
ruhig eingeschlafen.
Mein kleiner – großer – prachtvoller Gunnar.
In der vergangenen Nacht konnte und wollte er nicht von uns
gehen, er hat bestimmt auf uns gewartet.
Dafür war ich sehr dankbar.
Als ich am Telefon Dr. Braun mitteilte, dass Gunnar gerade
gestorben war, konnte ich vor Traurigkeit kaum sprechen.
Behutsam legte Sandra Gunnar auf das Stroh zurück!
Meine Familie setzte sich um die Gans herum und jeder
trauerte und nahm auf seine Weise Abschied von diesem
wunderbaren Tier.
Blümchen, Henri und Jasmin standen in einiger Entfernung
von uns, kümmerten sich scheinbar gar nicht um das
Geschehen.
Nachdem sich die ganze Familie von Gunnar verabschiedet
hatte, zogen wir uns zurück, ohne ihn aus den Augen zu
lassen.
Ganz verloren lag er alleine im Rasen – aber wahrlich nicht
lange.
Was dann geschah, daran möge sich jeder an diese
Geschichte erinnern – wenn er sie denn auch liest, der
unbedingt eine Weihnachtsgans „verschlingen“ möchte!
Sandra, Svenja und ich beobachteten aus einiger Entfernung
gespannt das Ereignis und waren so fasziniert, dass sich
keiner von uns bewegen traute.
Jasmin war die Erste, die zu Gunnar watschelte und ihn mit
ihrem Schnabel an stupste, als wolle sie sagen - „steh doch
auf – Gunnar!“ Langsam ging sie an Gunnar hinteren Körper
setzte sich behutsam hin, so dass sie mit ihm in einer Linie lag
und blieb einfach seelenruhig sitzen, ihren Kopf senkrecht in
die Luft gestreckt.  
Es dauerte nicht lange, da kam auch Blümchen
angewatschelt, schaute Gunnar genau an, ging an die
Vorderseite, stellte sich in die Nähe des Kopfes, blieb stehen
und drehte sich exakt auf derselben Stelle um, so dass auch
ihr Kopf wieder in einer Linie mit Gunnar und nun auch mit
Jasminchen war.
„Was macht das Blümchen?“
Wir waren so überrascht über diese Drehung, denn so etwas
haben wir noch nie gesehen. Henri kam ebenfalls langsam an
gehinkt - er hat bisschen Arthrose in seinen Beinen und stellte
sich an Gunnars Seite.
„Sandra, so etwas habe ich ja noch nie gesehen,“ flüsterte
ich.
„Ich auch nicht!“
Glücklicherweise hatte sie die Kamera bei sich und so konnte
sie die faszinierenden Bilder festhalten.
Die Gänse unterbrachen ihre Haltung nicht, sondern saßen
und standen regungslos da, so als ob sie ihren Freund Gunnar
in den Himmel begleiten würden.
Mir liefen die Tränen vor Rührung über die Wangen.
So ein wundersames – so ein vertrautes – so ein
tiefbewegendes – so ein liebevolles Abschied nehmen.
Würde man solch eine geistige Klarheit, solch ein
tiefdenkendes Bewusstsein in diesen Tieren vermuten?
Ja, sogar stärker als bei manch einem Menschen?
Ach nein, diese faszinierenden Tiere werden ja zu
Weihnachten reihenweise geschlachtet und mit Wonne
verzehrt!
Oder ihnen werden die Federn – ihre natürliche Pracht aus
dem Leib gerissen, so dass sie mit ihren blutenden und
zerschundenen Körper weiter dahin vegetieren müssen. Und
der Mensch kann sich dann an der graus amen „Köstlichkeit“
erfreuen und erwärmen!!!!!
 Als Henri, Blümchen und Jasmin ihre Verabschiedung, die
doch einige Zeit dauerte, und immer in der selben Haltung,
beendet hatten, watschelten sie wieder seelenruhig auf ihren
Platz zurück.
Feierlich wurde Gunnar, dieser liebenswerte Ganter in
unserem großen Garten begraben.
Danke Gunnar für deine Freundschaft!
Danke für das Miterleben der vertrauten natürlichen
Verabschiedung deiner Artgenossen.
Es war sehr traurig – aber wiederum wunderbar!!!


 
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